IGSU-NEWS Forschung: Mai 2023

Die IGSU hat langjährige Erfahrung im Engagement gegen Littering: Seit über 15 Jahren informiert und sensibilisiert sie die Bevölkerung und motiviert sie zum korrekten Entsorgen. Um sich noch weiter zu verbessern, spannt die IGSU erneut mit der Wissenschaft zusammen.
Dank neuem Forschungsprojekt noch wirkungsvoller gegen Littering
«Wenn man effektiv gegen Littering vorgehen will, muss man unglaublich viele Faktoren berücksichtigen, insbesondere auch psychologische Aspekte und tief verankerte Verhaltensnormen», erklärt IGSU-Geschäftsleiterin Nora Steimer. Denn Littering ist nicht gleich Littering. Die Gründe für Littering können sich zum Beispiel je nach Tageszeit, Littering-Gegenstand und Ort und abhängig von der Person unterscheiden – und damit auch die wirkungsvollsten Ansätze, um dagegen vorzugehen. Deshalb setzt die IGSU bereits heute auf ein breites Angebot an Anti-Littering-Massnahmen. Nun soll ihr reicher Erfahrungsschatz aus der Praxis mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über Littering kombiniert werden.
Situationsspezifische Massnahmen
Dafür arbeitet die IGSU mit Forscherinnen der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zusammen: Christina Tobler und Anne Herrmann sind Professorinnen an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW und erforschen, wie Konsumentinnen und Konsumenten entscheiden. In einer wissenschaftlichen Studie sollen sie herausfinden, mit welchen Massnahmen am wirkungsvollsten gegen Littering vorgegangen werden kann.
Neue Impulse für die Littering-Bekämpfung
Der Ansatz, der dabei verfolgt wird, ist einmalig: Für die Analyse werden verschiedene Situationen, in denen häufig gelittert wird, unterschieden und verhaltenspsychologisch betrachtet. Was nützt gegen Littering auf dem Pausenplatz und was nützt am Feierabend am See? Für Jugendliche und für Erwachsene? Diese differenzierte Herangehensweise in der Forschung soll die Bekämpfung des Litterings einen grossen Schritt weiterbringen. Denn die Ergebnisse der Untersuchung werden öffentlich verfügbar sein, damit auch Schulen, Gemeinden, Event-Veranstalter und Organisationen eine gute Grundlage haben, um noch wirkungsvoller und effizienter gegen Littering vorzugehen. Während heute viele Gemeinden immer wieder selbst von Grund auf neue Anti-Littering-Massnahmen entwickeln und sich dabei auf subjektive Einschätzungen und Bauchgefühl verlassen müssen, sollen sie dank der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Zukunft eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage haben, um einfach einen für sie passenden, wirkungsvollen Massnahmenmix gegen Littering zusammenstellen zu können.
Interview
Prof. Dr. Nina Tobler: «Wir sind uns gewohnt, dass alles für uns aufgeräumt wird»
Prof. Dr. Nina Tobler ist Wirtschaftspsychologin an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. Für die IGSU führt sie eine Studie zu Littering in der Schweiz durch. Im Interview erklärt sie, weshalb Littering uns so beschäftigt.
IGSU: Mit welchen Fragen beschäftigen Sie sich als Psychologin?
Prof. Dr. Tobler: Ich habe einen Hintergrund als Sozialpsychologin. Dabei beschäftige ich mich mit dem Verhalten und den Wahrnehmungen von Menschen. Mich interessiert vor allem das Zusammenspiel von Mensch und Umwelt – wobei mit Umwelt nicht nur die Natur gemeint ist, sondern auch das menschgemachte Umfeld sowie soziale Einflüsse.
Für uns forschen Sie zu Littering. Wie kann man dabei vorgehen?
Es gibt verschiedene Arten, wie man dieses Thema untersuchen kann. Einerseits ist es hilfreich, zu verstehen, wieso jemand littert. Um Motivationen und Einstellungen zu ermitteln, kann man Interviews und Befragungen durchführen. Man kann aber auch das tatsächliche Verhalten untersuchen, also beispielsweise wie viele Leute wo littern. Hier kann man zum Beispiel die Wirksamkeit von Massnahmen messen, indem man mit verschiedenen Bedingungen experimentiert und den gelitterten Abfall wiegt oder zählt.
Welche Personen littern tendenziell besonders häufig?
Ich würde nicht sagen, dass es «Litterer» und «Nicht-Litterer» gibt, sondern dass Menschen abhängig von der jeweiligen Situation littern. Laut Forschungsliteratur littern beispielsweise im Ausgang eher männliche, junge Menschen, besonders in einer Gruppe von Gleichaltrigen, wenn möglicherweise auch Alkohol im Spiel ist. Es geht darum, dass man gemeinsam etwas enthemmt ist und man das Littern okay oder vielleicht sogar lustig findet. Möglicherweise würden die gleichen Menschen in einer anderen Situation, beispielsweise auf dem Arbeitsweg, nicht littern.
In welchen Situationen wird denn eher gelittert?
Wenn man fragt, ist die Antwort häufig: «Es war kein Abfalleimer da.» Das dient oft als Rechtfertigung, weil man ja weiss, dass Littern eigentlich nicht akzeptiert wird. Was sicher auch eine Rolle spielt, ist wie gesagt das soziale Umfeld und wie sehr Littering dort missbilligt wird. Wenn Jüngere beispielsweise von Gleichaltrigen umgeben sind, haben sie vielleicht weniger Hemmungen, als wenn zum Beispiel der Grossvater, die Chefin oder die Lehrperson dabei ist. Generell ist es so, dass eher gelittert wird, wenn es keine soziale Kontrolle gibt. Also in Situationen, in denen man anonym ist oder sich unbeobachtet fühlt, wie in der Nacht oder an wenig frequentierten Orten.
Gegen Littering wird viel unternommen. Warum ist das wichtig?
Da gibt es drei Hauptgründe. Erstens wird Littering gesellschaftlich als Problem wahrgenommen. Wir alle wollen in einer sauberen Umwelt leben. Das funktioniert natürlich nur, wenn wir uns alle an die Regel des «Nicht-Litterns» halten. Tun wir es nicht, hat das Konsequenzen. Wenn in einer Gegend bereits viel Abfall liegt, wirkt sie ungepflegt. Das hat zur Folge, dass dort die Hemmschwelle für weitere Beschädigungen oder Vandalismus sinkt. Deshalb fühlen sich Menschen dort nicht mehr wohl und meiden solche Gebiete. Das kann zu einer Verwahrlosung der Gegend führen, bis hin zu Kriminalität.
Als zweites gibt es auch ökologische Gründe: Gewässer, Böden, Tiere und Pflanzen können langfristig Schaden nehmen. Und zuletzt führt Littering zu hohen Kosten. Die Gemeinden müssen für die Reinigung sehr viel Personal und Geld investieren für etwas, das leicht vermeidbar wäre. Denn eigentlich verursacht das korrekte Entsorgen des Abfalls in den meisten Fällen keinen grossen Aufwand für den Einzelnen oder die Einzelne.
Ärgert es uns deshalb auch selbst so sehr, wenn jemand littert?
Hier kommen weitere Aspekte hinzu. Einer davon ist das ästhetische Empfinden. Littering kann dazu führen, dass der Wert eines Ortes verringert wird und man sich weniger wohl fühlt. Aber vielleicht kommt auch der Gedanke hinzu «Ich littere ja auch nicht – auch wenn es manchmal bequemer wäre». Man ärgert sich besonders, weil man selbst einen Aufwand auf sich nimmt, den Abfall sachgerecht zu entsorgen, und andere nicht.
Verglichen mit anderen Ländern: Ist das Litteringverhalten in der Schweiz anders?
Die Schweiz hat ein sehr sauberes Image, und wir haben hier generell die soziale Norm, dass man nicht littern soll. Ich glaube, wir ärgern uns darum auch mehr über Littering, als das in anderen Ländern vielleicht der Fall ist. Littering hängt aber auch mit dem Wohlstand zusammen: In der Schweiz ist man mobil und kann es sich leisten, unterwegs ein Mittagessen im Wegwerfgeschirr zu kaufen, statt das eigene Essen im Tupperware mitzubringen. Damit fällt viel Abfall im öffentlichen Raum an. Und schliesslich sind wir es uns auch zu einem gewissen Grad gewohnt, dass alles für uns weggeräumt wird: Öffentliche Plätze, Bahnhöfe oder Haltestellen werden regelmässig gereinigt und gelitterter Abfall rasch entfernt. Sogar nach der Streetparade ist es am nächsten Morgen um 7 Uhr schon wieder sauber. Da sind wir in der Schweiz verwöhnt.